Chronik der Universitätskirche St. Pauli (1240 - 1968)Erstellt vom Ersten Universitätsprediger der Universität Leipzig, Prof. Dr. Martin Petzoldt. Vorgelegt im Auftrag des Beirates des Universitätsgottesdienstes. Ergänzt und aktualisiert 2009ff. durch die Stiftung „Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig" 1240 Weihe der Klosterkirche des 1229 gegründeten Leipziger Dominikanerkonventes durch Erzbischof Wibrand aus Magdeburg 1419 An der 1409 gegründeten Universität Leipzig werden spätestens seit diesem Zeitpunkt Universitätsprediger berufen 10.10.1543 Ingebrauchnahme der Paulinerkirche als Aula der Universität 12.08.1545 Mittwoch nach dem 10. Sonntag nach Trinitatis: Martin Luther (1483 - 1546) predigt ein halbes Jahr vor seinem Tode anlässlich der Umwidmung der Kirche zur evangelischen Universitätskirche über Lukas 19, 41 - 48; Nutzung der Kirche an hohen Festen des Kirchenjahres, zu Quartalsorationen, für Promotionen und als Aula der Universität, z.B. zum Rektoratswechsel, der am 31. Oktober, dem Reformationsfest jeden Jahres durchgeführt wurde 1624 Beginn der Tätigkeit des Montägigen Predigerkollegiums, das bis 1870 bestand; hier bildeten sich Studenten aller Fakultäten in der Kunst der freien Rede 1640 Beginn der Tätigkeit des Donnerstägigen Predigerkollegiums, bis um 1820 1643 Hebung des Grundsteines der Paulinerkirche aufgrund der durch Sicherungsarbeiten an der Stadtmauer notwendig gewordenen Verkürzung des Chorraumes 1671 Versuch der Theologischen Fakultät, an Sonn- und Feiertagen regelmäßig Gottesdienst für die „Universitätsverwandten" in der Universitätskirche einzuführen 1709 - 1712 Sanierung der Kirche und Errichtung des barocken Westportals 31.08.1710 11. Sonntag nach Trinitatis: Beginn regelmäßiger Gottesdienste an Sonn- und Festtagen des Kirchenjahres; Predigt des Theologieprofessors D. Gottfried Olearius (1672 - 1715) zu Lukas 18, 9-14; der Thomaskantor, später auch Bach, ist weiter für den sogenannten „alten Gottesdienst", für die bereits zuvor begangenen Termine des Jahres, zuständig
1712 Errichtung eines neuen Doktoratskatheders 1716 Beginn der Tätigkeit des Sorben-Wendischen Predigerkollegiums 16.-17.12.1717 Johann Sebastian Bach (1685 - 1750) prüft in der Universitätskirche die neu erbaute Scheibe-Orgel; er habe sie „nicht gnugsam rühmen und loben können, sonderlich deren Raren Register"
11.06.1719 1. Sonntag n. Trinitatis, August Hermann Francke aus Halle predigte über die Sonntagsepistel 1 Joh 4, 16-21, anwesend sei eine unsägliche Menge Volks gewesen und Francke habe sieben Viertelstunden gepredigt 18.10.1727 Bach bringt anlässlich des Gedenkaktes für die verstorbene sächsische Kurfürstin Christiane Eberhardine (1671 - 1727) seine Trauerode (BWV 198) zur Aufführung 26.03.1728 Karfreitag, erste Vesperpredigt in der Universitätskirche zum Karfreitag, gestiftet von Johann Florens Rivinus, gehalten von Prof. Dr. Johann Gottlob Pfeiffer 21.10.1729 Bach führt anlässlich des Gedächtnisgottesdienstes für den verstorbenen Thomasschulrektor und Professor poeseos der Universität, Johann Heinrich Ernesti (1652 - 1729) seine Motette „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf (BWV 226) auf 1738 Errichtung der barocken Kanzel am dritten Pfeiler von Osten durch Valentin Schwarzenberger (1693 - 1754)
25.08.1739 Feier des Reformationsjubiläums in der Universitätskirche mit einer Rede von Prof. Christian Friedrich Börner und einer lateinischen Ode von Johann Gottlieb Görner 1768 Beendigung der außergottesdienstlichen Nutzung der Kirche durch die Universität; es bleiben die Nutzung für die sonn- und festtäglichen Gottesdienste und als Übungsraum für Predigergesellschaften der Universität, später für das Homiletisch-Lithurgische Seminar der Theologischen Fakultät. 07.11.1847 Aufbahrung Felix Mendelssohn Bartholdys (1809 - 1847) mit Trauerfeier
10.11.1862 Eröffnung des bis 2007 bestehenden Prediger-Collegiums zu St. Pauli in Leipzig 1891 - 1897 Umbau des Universitätskomplexes im Neorenaissance-Stil, der Universitätskirche im Stil der Neugotik, nach Plänen des Stadtbaudirektors Arwed Rossbach (1844-1902) 11.06.1899 2. Sonntag nach Trinitatis: Wiedereinweihung der Universitätskirche mit einer Predigt des Ersten Universitätspredigers D. Georg Rietschel (1842-1914) zu 2 Kor 13,8 1907 Max Reger (1873 - 1916), Universitätsmusikdirektor 04.-05.12.1943 Entfernung von Brandbomben vom Dachboden der Universitätskirche durch den Ersten Universitätsprediger Prof. Dr. Alfred Dedo Müller (1890 - 1972) zusammen mit einigen Theologiestudenten und Zwangsarbeitern unter Einsatz ihres Lebens; dadurch wird die Universitätskirche vor der Zerstörung bewahrt 31.10.1945 Geplante aber nicht zustande gekommene Wiedereröffnung der Universität nach dem Zweiten Weltkrieg in der Universitätskirche 1946 Vertragliche Regelung der Mitnutzung der Universitätskirche durch die römisch-katholische Propsteigemeinde St. Trinitatis; sie verlor beim Dezemberbombardement 1943 auf Leipzig ihre Kirche in der Nähe des Neuen Rathauses und hielt seitdem bereits aufgrund der Bereitschaft der beiden evangelischen Universitätsprediger hier Messe 20.02.1949 Im Universitätsgottesdienst des Sonntags Sexagesimae wird Prof. Alfred Köbler (1912-1970) durch den Ersten Universitätsprediger Prof. D. Alfred Dedo Müller in das Amt des Universitätsorganisten eingeführt 04.04.1968 Universitätschor: Aufführung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach unter der Leitung von Universitätsmusikdirektor Hans-Joachim Rotzsch 11.04.1968 Gründonnerstag: Universitätsgottesdienst, Predigt Wiss. Ass. Dr. Hartmut Mai 12.04.1968 Karfreitag: Universitätsgottesdienst; Predigt Dekan Prof. Dr. Ernst-Heinz Amberg 14.04.1968 Ostersonntag: Universitätsgottesdienst; Predigt Zweiter Universitätsprediger Prof. Dr. Ernst Sommerlath (1889-1983) 21.04.1968 Quasimodogeniti: Universitätsgottesdienst; Predigt Erster Universitätsprediger Prof. Dr. Heinz Wagner (1912-1994) 28.04.1968 Misericordias Domini: Universitätsgottesdienst, Predigt Wiss. Ass. Dr. Wolfram Böhme
03.05.1968 Gottesdienst zum Dies der Universität 05.05.1968 Jubilate: Universitätsgottesdienst; Predigt Dekan Prof. Dr. Ernst-Heinz Amberg 07.05.1968 Beschluss des Politbüros der SED, Berlin: Abriss der Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig 12.05.1968 Kantate: Universitätsgottesdienst 16.05.1968 Sitzung sämtlicher politischer Kräfte, zu der der Rektor der Universität, Prof. Dr. Werner, auch den Dekan der Theologischen Fakultät eingeladen hatte. Es kommt zur Auseinandersetzung zwischen dem ersten Sekretär der Bezirksleitung der SED, Paul Fröhlich, und dem Dekan der Theologischen Fakultät, Prof. Dr. Ernst-Heinz Amberg 17.05.1968 Sitzung des Senates der Karl-Marx-Universität. Verabschiedung einer Dankadresse an Walter Ulbricht. Protest der Theologischen Fakultät durch den Dekan Prof. Dr. Ernst-Heinz Amberg, gegen den Abriss der Universitätskirche. Dieser hat folgenden Wortlaut: „Als Dekan der Theologischen Fakultät bringe ich die unveränderte Einstellung aller theologischen Mitglieder des Rates der Fakultät zum Ausdruck, wenn ich noch einmal auf unsere Auffassung zum Problem Universitätskirche hinweise, wie wir sie mehrfach geäußert haben: Wir können zum geplanten Abbruch der Uni-Kirche nur unmissverständlich Nein sagen. Aus diesem Grund kann ich hier im Senat auch nicht einer Willenserklärung zustimmen, in der der Neubau akzeptiert und begrüßt wird, der den Abbruch der Universitätskirche zur Voraussetzung hat." 19.05.1968 Rogate: Universitätsgottesdienst; Predigt Wiss. Ass. Dr. Helmar Junghans 21.05.1968 Letzte Sitzung des Homiletisch-Lithurgischen Seminars in der Universitätskirche mit Seminargottesienst; Predigt stud. theol. Martin Petzoldt über Kol 4, 2-6 22.05.1968 Stud. theol. Johannes Hassenrück und die Schülerin Helga Salomon werden verhaftet wegen einer Flugblattaktion gegen die neue Verfassung der DDR 23.05.1968 Himmelfahrtstag 9:30 Uhr, letzter Gottesdienst der Universitätsgemeinde, Predigt durch den Ersten Universitätsprediger, Prof. Dr. Heinz Wagner, zu Apg 1,1-11. Um kurz nach 15:00 Uhr wird in der 15. Tagung der Stadtverordnetenversammlung Leipzig im Neuen Rathaus die Drucksache Nr. 64 „Perspektivkonzeption der Stadt Leipzig bis 1970", die die Sprengung der Universitätskirche einschloss, gemäß Beschluss Nr. 120 mit einer Gegenstimme angenommen. 17:00 Uhr Messe der römisch-katholischen Propsteigemeinde, danach hermetische Abriegelung der Kirche und des die Kirche und Augusteum umgebenden Geländes 24.05.1968 Der Dekan der Theologischen Fakultät, Prof. Dr. Ernst-Heinz Amberg, der Erste Universitätsprediger, Prof. Dr. Heinz Wagner und wenige Mitarbeiter, ebenso wenige Persönlichkeiten der Propsteigemeinde sowie der Universitätsorganist dürfen die Kirche nochmals betreten, um sakrales und persönliches Eigentum zu bergen 24.05.-28.05.1968 Übereilte unsachgemäße Arbeiten zur Bergung von etwa 100 kostbaren Bildwerken, Epitaphien und des spätgotischen Altars unter Ausschluss von Fachleuten. 10 Kunstwerke werden aus dem Universitätshauptgebäude geborgen; Verbringung des Leibniz-Denkmals auf einen Lagerhof an der Stötteritzer Straße. Gemäß Zeitzeugen wurden die steinernen Platten des Kirchenbodens geöffnet, Grüfte der rund 800 dort beigesetzten Professoren, sächsischen Fürsten, Adeligen, Bürgermeister und verdienten Bürger der Stadt Leipzig inspiziert, Wertgegenstände entnommen und sterbliche Überreste an einen unbekannten Ort verbracht. 29.05.1968 Blitztelegramm des römisch-katholischen Bischofs von Meißen, Dr. Otto Spülbeck, an den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht: „Die Beschlüsse der Stadtverordneten Leipzigs vom 23. Mai 1968 über die Planung des Stadtzentrums haben ohne Kündigungstermin innerhalb von zwei Stunden den Katholiken Leipzigs und der Probsteigemeinde die Nutzung der Universitätskirche entzogen. Da seit 1946 Nutzungsrechte mit gegenseitigen Verpflichtungen bestehen, nimmt der Unterzeichnete als früherer Probst und Kontrahent und als zuständiger Bischof Mieterschutz in Anspruch und erbittet Sistierung des Beschlusses bezüglich der Universitätskirche zur Überprüfung der Planung und zur Sicherung des gesetzlichen Mieterschutzes. Zugleich gebe ich mit Besorgnis Kenntnis von der Beunruhigung der Katholischen Bevölkerung der Stadt Leipzig und meines Bistums über die Art des Vorgehens." 30.05.1968 |
10 Uhr: Sprengung der Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig auf Geheiß der SEDMit freundlicher Genehmigung von epd-BILDERDIENST |
29.05.2009
Der Erste Universitätsprediger der Universität Leipzig, Professor Dr. Martin Petzoldt, nimmt in einer Feierstunde in der Leipziger Thomaskirche die von der Stiftung „Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig" dem Universitätsgottesdienst gestiftete Nachprägung der historischen Paulusmedaille in Empfang. Die Medaille soll, sobald der Baufortschritt im Innenausbau des Chorraums dies zulässt, im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in den Altargrundstein der neu errichteten Universitätskirche St. Pauli eingebracht werden.
06.12.2009
Mehr als einundvierzig Jahre nach der Sprengung im Jahr 1968 wurde auf Einladung der Universitätsgemeinde der Universität Leipzig, des Paulinervereins e.V., des Aktionsbündnisses „Neue Universitätskirche St. Pauli" sowie der Stiftung „Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig" am 2. Advent der erste Universitätsgottesdienst in der noch im Bau befindlichen neuen Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig gefeiert. Mit diesem bewegenden Gottesdienst fand die Festwoche zum 600. Universitätsjubiläum einen würdigen Abschluss und Höhepunkt.
Liturg: Erster Universitätsprediger Prof. Dr. Rüdiger Lux Predigt: Zweiter Universitätsprediger Prof. Dr. Peter Zimmerling Musikalische Ausgestaltung: Universitätschor und Pauliner Barockensemble unter Leitung von Universitätsmusikdirektor David Timm. J.S. Bach, Kantate "Nun komm, der Heiden Heiland" BWV 61 Die musikalische Ausgestaltung dieses Gottesdienstes wurde finanziell unterstützt durch die Stiftung „Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig".
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Baustelle der neuen Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig (Dezember 2009) |
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